Konzert und Lesung im Textilmuseum

Dass das Ensemble „Más que Tango“ für Qualität bürgt, hat sich mittlerweile rumgesprochen. Was das Quartett aber am gestrigen Abend im Textilmuseum geboten hat, war überragend: So kongenial interpretiert hat man Astor Piazzollas Musik selten gehört, die Konfrontation mit Werken anderer Komponisten ließ Funken sprühen.

Más que Tango ist kein festes Quartett: Pianistin Iris Lichtinger und Violinist Martin Franke holen sich für ihre Programme regelmäßig hochkarätige Mitmusiker – diesmal den neuseeländischen Cellisten Edward King und den Bandoneon-Virtuosen Michael Dolak. Letzterer ließ schon im ersten Stück, Piazzollas „Tristeza de un doble A“ spüren, dass er der Star des Abends sein würde: Mit geschlossenen Augen hätte man immer wieder meinen können, den 1992 gestorbenen Komponisten selbst zu hören – da stimmte jede Nuance, jeder Anschlag, jedes „Atmen“ des Bandoneons, jede Schwerpunktverschiebung, jede zart-rauhe Umspielung… Doch in den weiteren Stücken durfte man auch schnell feststellen, dass das Ensemble auf demselben Niveau mithalten konnte: Faszinierend, wie Violine und Cello ihre Stimmen aneinander lehnten, einander ablösten, begeisternd, wie auch die Violine bis zum i-Tüpfelchen, bis zum hinter dem Steg kratzenden Geigenbogen Piazzollas Stilmittel einzusetzen wusste, mitreißend, wie die Interaktion der Musiker hörbar, sichtbar, erlebbar wurde, wie ein Thema vom Cello zur Violine, zum Bass (der vom Klavier gespielt wurde) und zum Bandoneon wanderte.

Bach und Piazzolla – das passt

Geradezu erhellend war die Idee, in die Mitte der ersten Hälfte eine Allemande aus den Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach zu platzieren. So wurde deutlich, dass es da viele Gemeinsamkeiten gibt – etwa in den nicht enden wollenden Arabesken und Umspielungen, mit denen beide Komponisten ihre Themen durch die Kirchentonarten wandern lassen – auch wenn bei Piazzolla die Sprünge des Öfteren härter sind, manchmal gar chromatisch. Sicher: Bei Piazzolla ist der Rhythmus oftmals vordergründig. Während er bei Bach von innen kommt, nur im Hintergrund pulsiert, bleibt der Argentinier der Herkunft seines Musik treu: dem Tango, der deutliche, harte Rhythmen braucht, die bei Piazzolla oftmals ins Brutal-Aggressive umschlagen. Gemeinsam ist beiden Komponisten dagegen wieder die Form der Fuge, des komplex-vielstimmigen Ineinanderfließens und Auseinanderhervorgehens. Und gemeinsam ist ihnen natürlich auch das unaufhörliche Schwanken zwischen Dur und Moll, zwischen Hell und Dunkel, zwischen Offenbarung und Trauer.

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Er war der Star des Abends: Bandoneonist Michael Dolak. Foto oben: Martin Franke (Violine), Iris Lichtinger (Flügel) und Edward King (Cello). Fotos: Frank Heindl.
Schwierige Poesie mit bewegenden Momenten

Da es sich um ein Allerheiligen-Konzert handelte, war dieser Aspekt natürlich willkommen und wurde unterstützt durch Lesungen des Museumsleiters Karl Borromäus Murr. Er trug zwischen den Musikstücken Gedichte meist zeitgenössischer Autoren vor, deren Themen, dem Feiertag entsprechend, um Tod, Einsamkeit und Abwesenheit kreisten. Vieles war dabei leider zu schwierig, um es beim ersten Hören verstehen zu können, ohne den Text vor sich zu haben. Bewegend trotzdem etwa R.S. Thomas‘ „Die leere Kirche“, ein Text, der die Erlösung für gescheitert erklärt: Die Kirche wird als „Falle“ erkannt – „er kommt nicht noch einmal zu unserem Köder.“ Schön auch Wolfgang Hilbigs „Abwesenheit“: Abwesend sind beim ihm nicht die Toten, sondern wir, die Lebenden, deren Sprache zerbrochen ist. Und ergreifend der vorgetragene Teil aus Rilkes 1. Duineser Elegie: „Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn“, stöhnt der „große Poet der Abwesenheit“ (Murr) zu Beginn und endet in tiefer Verzweiflung: „Denn Bleiben ist nirgends.“

Das korrespondierte natürlich vor allem mit Piazzollas Stücken – mit der schwer erträglichen Spannung des „Libertango“, mit den zwischen Euphorie und Verzweiflung, zwischen Kampf und Resignation schwankenden Themen der „Milonga del angel“ und der „Muerte del Angel“: Im ersten Stück tanzt der Engel, im zweiten stirbt er – nicht nur die Stücke passten, der ganze Abend war perfekt durchkomponiert bis hin zur Zugabe und tosendem Applaus.