Volksmusik – und dann doch was ganz anderes
Ein Genuss: Zwirbeldirn im Parktheater
Ein großer Chor, ein kleines Orchester: Wenn man mit geschlossenen Augen einfach nur lauschte, konnte man in Zweifel geraten, ob man wirklich nur dieses kleine Quartett aus dreimal wahlweise Geige oder Bratsche plus einmal Bass hörte – oder ob sich den vier „Zwirbeldirn“-Musikern am Samstag auf der Bühne des Parktheaters plötzlich noch weitere Kollegen hinzugesellt hatten.
Nachdem Zwirbeldirn anno 2008 den Fraunhofer Volksmusik-Preis erhalten haben, waren sie zum Beispiel öfters im Bayerischen Rundfunk zu Gast – und schon waren die Konzerte der Band kein Geheimtipp mehr. Ende 2014 kam dann Walter Steffens Musik-Doku „Bavaria Vista Club“ über zeitgenössische bayerische „Volks“-Musik in die Kinos. Und im vergangenen Sommer ein Auftritt auf dem Oberammergauer „Heimatsound“-Festival. Jetzt schwärem viele für Zwirbeldirn und nehmen sie als einen Beweis mehr dafür, dass Volksmusik modern, witzig, virtuos – und sogar jung sein kann. Kein Wunder also, dass das Parktheater gut besucht war.
Nächstes Mal allerdings müsste es eigentlich brechend voll sein. Denn was die Geigerinnen bzw. Bratschistinnen Evi Keglmaier, Maria Hafner und Sophie Meier-Rastl nebst dem Mann im Bunde, Simon Ackermann am Bass, an Humor und Einfallsreichtum auf die Bühne bringen, wird nur durch eines getoppt: ihre Musikalität. Man darf da ruhig von Klangschönheit sprechen, von hervorragenden Arrangements, von trefflicher Übereinstimmung aus Wort und Klang.
Wenn die Stimme ironisch nach oben kippt …
Wer das Glück des Autors dieser Zeilen hatte, die Vier schon mal auf ganz kleiner Bühne erlebt zu haben, durfte zunächst ein bisschen skeptisch sein. Das große Parktheater erfordert deutliche Verstärkerhilfe und ist ob seiner sehr halligen Akustik nicht gerade einfach zu beschallen. Das machte das Textverständnis mitunter etwas anstrengend, für die Zuordnung einzelner Klänge zur betreffenden Geigerin reichte nicht das Hinhören, da musste man schon auch genau schauen. Trotz dieser Einschränkung waren spätestens nach dem dritten Stück alle Einwände beseitigt: Der in Tempo und Intonation perfekt getroffene Eingangsjodler hatte ja schon gezeigt, wozu die drei Frauen fähig sind, getoppt wurde er dann von einem wunderbaren „hoch drom auf der Oim“, wo der Gesang immer beim Wort „hoch“ ganz automatisch in die Kopfstimme kippte – und damit einen Eindruck verschaffte von der perfekt unaufdringlichen, subtilen Ironie, mit der das Quartett seine Interpretationen ausstattet. Ein bisserl Schauspielerei gehört natürlich auch dazu, zum Beispiel wenn die Damen mit grimmigem Blick und ganz mannsbildmäßig „a Bier will i ham“ singen und mit dieser Forderung nicht mal vor dem Herrgott halt machen. Schön, wie da durch weibliche Übernahme „typisch“ männlichen Verhaltens ein Klischee gleichzeitig bedient und ironisiert wird! Und apropos: Der Name Zwirbeldirn stammt, laut per Videobeweis festgehaltener Auskunft (https://www.youtube.com/watch?v=kThCUJh115M), vom schwipsbedingt fehlerhaft ausgesprochenen Zirbenschnaps.
Willy Michl ist dabei und Friedrich Ani auch
Man könnte vom Hundertsten ins Tausendste kommen beim Schwärmen von diesem Abend: Wie schön etwa Evi Keglmaier ein – eher ernsthaft-sozialkritisches – Gedicht des (Krimi-)Autors Friedrich Ani vertont und arrangiert hat: Zuerst wird der Gesang „über Stuberl und ihre Bewohner“ einzig von einer den Off-Beat zupfenden Geige begleitet, und nachdem der Bass endlich mal die Eins betont hat, zupft die zweite Geige erst mal ein Solo… Und wie unglaublich schön, zart und melodiös das „Katmandu“-Lied von Willy Michl daherkommt, ganz unironisch endend in einem herrlichen Chor über ein nepalesisches Mantra… Überhaupt ist es jedes Mal ein musikalisches Erlebnis, wenn sich diese drei Stimmen aus einem ganz „gewöhnlichen“ Unisono in einen dreistimmigen Satz entfalten, der sich dank der Akustik des Parktheater, siehe oben, wie ein vielfach besetzter Chor anhört!
Auch Instrumentales gab es zu hören, aus Finnland, aus Mazedonien und von sonstwo im Osten. Und Ausflüge in den Blues, über Niederbayern („der Niederbayer wenn den Blues hat, der schweigt und geigt“) und Trinidad (Money is King) bis, ja echt, gell: in die USA (Black Eye Blues) – immer schön gegeigt, herrlich gesungen und meist ganz nah am Jodeln und mittendrin zwischen Volksmusik und etwas dann doch irgendwie ganz anderem. Eher klassisch kam das „Jagerstüberl“ daher: Textlich sehr einfach gehalten(„Jagerstüberl, Jagerstüberl“), gesanglich ein bravourös juchzendes Jodeln. Fesselnd war diese Konzert, hinreißend und einfach schön bis zur Zugabe mit dem gnadenlos wunderbaren Vers vom Mond, der überm Giesinger Berg scheint. Schluss also mit dem Streit, was diesen Stil eigentlich ausmacht, wo die alte endet, wo die neue beginnt: so muss Volksmusik!
Bild: Loses, aber wohltönendes Mundwerk, virtuos an gestrichenen und gezupften Saiten – Zwirbeldirn auf der Bühne des Augsburger Parktheaters (Foto: Frank Heindl).