André Bücker bleibt Antworten schuldig
Sein Vortrag zum Thema „Widerstand“ verlief im Ungefähren
André Bücker, von der nächsten Spielzeit an Augsburgs neuer Intendant, hat einiges erlebt, einiges bewegt, Er hat, tatsächlich, „Widerstand“ geleistet. Sein Vortrag in der Volkshochschule zu diesem Thema blieb dann allerdings eher anekdotisch. Die Beantwortung der Frage, was das Thema Widerstand mit seiner künftigen Theaterarbeit in Augsburg zu tun haben könnte, blieb er fast zur Gänze schuldig.
Wir schreiben das Jahr 2013, André Bücker ist im fünften Jahr Intendant am anhaltischen Theater in Dessau. Die vormals „blühende“ Industriestadt mit 130.000 Einwohnern ist auf zwei Drittel ihrer einstigen Größe geschrumpft. Die Bewohner ziehen weg, ganze Stadtviertel werden eingeebnet. Aber da gibt es noch das Theater, 1.000 Plätze groß, größer als das Augsburger Stadttheater, ein, so Bücker „Monolith“ in der Stadt, ein „Identifikationsobjekt“ für die Bürger. Die wehren sich, als die Landesregierung die Subventionen um drei Millionen Euro pro Jahr kürzen möchte.
Trillerpfeifen und eine Axt
Zu Demos kommen nicht nur die 350 betroffenen Mitarbeiter des Theaters, Kulturfreaks, sondern auch die Ärzte des Klinikums mit den Krankenschwestern, Sparkassenmitarbeiter, Schulklassen. Andere Verhältnisse also als in Augsburg, wo sich Teile der Bürgerschaft versammelt haben, um die Theatersanierung zu verhindern. Gemeinsam rammt man in Dessau Pflöcke in die Straße und „verankert“ das Theater noch haltbarer in der Stadt. Man zieht um den Magdeburger Landtag und bläst in biblischer Manier die Posaunen. Man reist nach Berlin und bringt vor dem Willy-Brandt-Haus den Sozialdemokraten mit Arbeiterliedern ihre kulturelle Tradition in Erinnerung. Die Trillerpeife hat man, in gewerkschaftlicher Tradition, immer dabei. Der Dessauer OB in Person erscheint auf einer Kundgebung, mit einer Axt über der Schulter, eine Stadtrats-Sitzung im Theater hat mehr als 500 Besucher. Und auf dem Programm steht „Polly“, der Bettleroper zweiter Teil, mit deutlichen Anspielungen auf die Wirklichkeit, sarkastisch und „nicht sehr subtil“, wie Bücker sagt.
Ja, das ist Widerstand. Aber was hat er bewirkt? Da fallen die Antworten Bückers deutlich kürzer aus: Hm, tja, es sei „einigermaßen gut ausgegangen für das Theater“, behauptet er. Hat die Landesregierung nachgegeben? Nein, das nun nicht. Genau genommen hat sie eigentlich ihr Programm wie geplant durchgezogen: drei Millionen weniger pro Jahr. Dafür hat sich am Theater einiges verändert: „die Sparten sind zusammengerückt“ und blieben erhalten, es herrschte eine „phantastische Stimmung, eine phantastische Solidarität“, es gab keine betriebsbedingten Kündigungen. Allerdings: Es wurde Personal abgebaut und es wird weiterhin Personal abgebaut in Dessau. Und um die Arbeit einigermaßen zu sichern, haben Bücker und Friedrich Meyer (den er als kaufmännischen Leiter nach Augsburg mitgebracht hat), mit den damals 350 Mitarbeitern Einzelverträge ausgehandelt: nur noch 90 Prozent Arbeit für nur noch 90 Prozent Lohn. Ein durchaus zwiespältiger „Erfolg“ also.
Theater und Bürger gegen Neonazis
Bevor sich das zu sarkastisch anhört: Bücker hat auch auf anderer Ebene, vielleicht mit mehr Erfolg, Widerstand geleistet, Zivilcourage gezeigt. Nach einer Premierenfeier wird 2007 in Halberstadt eine Gruppe von Schauspielern von Neonazis angegriffen. Bücker erhält spät nachts einen Anruf, eilt ins Krankenhaus, findet dort sieben Mitarbeiter „schlimm zugerichtet und verprügelt“ vor. Der Intendant ist „schockiert und entsetzt“ – nicht nur von der Tat selbst, sondern von der Gleichgültigkeit einer rat- und tatenlosen Bürokratie. Es ist Bücker, der dafür sorgt, dass der Staatsschutz eingeschaltet wird – die örtliche Polizei hatte nicht einmal die Kripo hinzugezogen. „Das empfand ich damals als meine Aufgabe“, resümiert er zurückblickend. In der Folgezeit gibt er Interviews, arbeitet mit Opferorganisationen zusammen, sorgt dafür, „dass die Geschichte wahrgenommen wird.“ Sein Theater organisiert noch im selben Jahr die Aktion „Auf die Plätze!“, in der es um die „Rückeroberung des öffentlichen Raums“ geht. Dort, wo der Halberstädter „nachts nicht hingeht“, in den Vierteln und Gassen, die den Neonazis „gehören“, gibt es Aktionen, Musik und Theater, die Stadt soll wieder den Demokraten gehören.
Auch im Zusammenhang mit dem Tod von Oury Jalloh hat Bücker deutlich Flagge gezeigt: Der Mann aus Sierra Leone verbrannte 2005 in einer Dessauer Gefängniszelle unter nach wie vor nicht geklärten Umständen. Bücker hat ein Rechercheprojekt initiiert, das, seinen Worten zufolge, anfangs von allen Beteiligten, Tätern wie Opfern, Polizei wie Migranten-Community, abgelehnt wurde. Es sei „einer der schönste Augenblicke in meinem Theaterleben“ gewesen, erzählt er in der VHS, als sich nach der Premiere sowohl der Dessauer Polizeichef als auch die „black community“ bei ihm bedankt hätten.
Flagge zeigen – auch in Augsburg?
Ein Intendant also, der Flagge zeigen, „seinen Mann stehen“ kann. Das ist die durchaus glaubwürdige Botschaft seines Vortrags in der VHS. Sehr vage blieb er allerdings, als es darum ging, was solche Erfahrungen für die kommende Theaterarbeit in Augsburg bedeuten können. Widerstand, Eingriff, unbequeme Stellungnahme nur, wenn es sich um tagesaktuelle „Missstände“ oder ums eigene Wohlergehen dreht? So war es sicher nicht gemeint. Bücker aber liefert nichts Konzeptionelles, betont, er könne Einblicke in seinen Spielplan erst geben, wenn er im März den Stadtrat informiert habe (warum eigentlich?) und bleibt ansonsten im nahezu phrasenhaft Ungefähren: Theater brauche „Haltung“, es werde „performative Formate“ geben, aber auch „die großen Klassiker“, die bekannten Repertoireopern, aber auch Werke zeitgenössischer Komponisten, er strebe „Vielfalt ohne Beliebigkeit“ an, jede Produktion müsse „gleich ernst genommen werden.“ Das hat mit Widerstand wenig zu tun, klingt eher nach „schau mer mal. “
Das Publikum gbt sich zufrieden
Interessiert hätte doch, wogegen sein Theater sein könnte und „Widerstand“ zu leisten hätte, wenn es nicht selbst bedroht ist (was sowohl für die Kürzungen in Dessau wie für die Nazis in Halberstadt gilt). Wenn es also nicht um die eigene künstlerische Arbeit, sondern um die Situation der Gesellschaft und deren künstlerische Reflexion geht. Wo Kultur, Kunst, Theater aus der Sicht des neuen Intendanten zukünftig in Augsburg Flagge zeigen, Standpunkte klären könnten, sollten. Und was ein solcher Widerstand für die ästhetisch-programmatische Ausrichtung André Bückers und des Augsburger Theaters bedeuten könnte.
Einmal mehr musste man auch wieder feststellen, dass sich selbst bei einer gut besuchten Veranstaltung wie dieser im Filmsaal des Zeughauses kein Publikum einfindet, das solche Fragen offensiv stellen würde. Muss den die Theater-Affinität der Besucher solcher Veranstaltungen immer auch bedeuten, dass keine Kritik, ja nicht einmal Auseinandersetzung stattfindet? Stattdessen durchwegs apologetische Kommentare, ein paar Nachfragen zu den zukünftigen Spielorten, langeweilige Zufriedenheit. Hauptsache Theater in schönen Locations? – das kann’s doch nicht sein!
Das Foto zeigt André Bücker bei der „Bürgertalk“-Veranstaltung in der Brechtbühne (Foto: Frank Heindl).