Orientierungslos im Stimmengewirr
Gigantisch: Neue Musik mit den Philharmonikern
Warum, bitte, hat Neue Musik so wenige Hörer? Warum war der wunderschöne Saal des MAN-Museums am Dienstagabend nur zu einem Drittel besetzt? Wovor habt ihr Angst?
Ich fühle mich nicht dazu berufen, Neue Musik zu erklären. Wer das musiktheoretisch und gebildet durchblicken will, mag sich anderswo informieren. Ich bin Musik-Hörer, und, ja, Leute: Neue Musik zu hören ist für mich immer und immer wieder ein gigantisches Erlebnis, obwohl ich nicht durchgängig verstehe, was die auf der Bühne da tun. Muss man das? Nein! Muss man nicht! Zuhören genügt!
Und mit dieser Einstellung hatte ich wieder mal ein wunderbares, fesselndes, mitreißendes und assoziatives Hörerlebnis – diesmal mit den Augsburger Philharmonikern, dirigiert von Thomas Herzog aus Basel, der den drei Stücken kleine Anleitungen vorwegschickte, wie das bei Neuer Musik oft gemacht wird. „Kommentare“ hieß das Programm, weil das Kind einen Namen haben muss – man hätte auch andere Titel wählen können. Jedenfalls begann es mit Fiktiven Tänzen von Arnulf Herrmann, einer Komposition von 2008 Und schon das wäre ein guter Einstieg für Hörer gewesen, die dem Genre skeptisch gegenüberstehen: Fiktive Tänze sind so was ähnliches wie „alternative facts“: So, wie Trump aus den echten Fakten seine Wunschfakten konstruiert, so komponiert sich, ein bisschen ums Eck gedacht, Herrmann aus echten Tänzen etwas anderes, das zwar überhaupt nicht mehr tanzbar ist, aber sich ganz entfernt noch nach dem anhört, was es zu sein vorgibt. Ein gerader Groove also, Eins-Zwei-Drei-Vier usw., intensiv vorwärts treibend, aber kein Schwerpunkt mehr oder deren viele – so viele, dass nach wenigen Schritten das Gefühl verloren geht, wo da nun Anfang, wo Ende sein könnte. (mehr …)