Form, Farbe, Sound: Wie abstrakte Bilder klingen
„Midisage“ in Oberschönenfeld mit dem Klangkünstler Gerald Fiebig
Der Schritt von der gegenständlichen zur abstrakten Malerie, in Europa vor rund hundert Jahren vollzogen, war, in den Worten von Wassily Kandinsky, auch der Schritt zu einer „neuen, internationalen Sprache“, die sich „unendlich entwickeln“ werde. Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass der russische Künstler (1866-1944) bei diesem Satz bereits an die Verbindung der malerischen mit der musikalischen Sprache gedacht hat – Kandinsky soll Synästhetiker gewesen sein, einer der wenigen Menschen, die Farben als Töne hören, Töne als Farben sehen können.
Gerald Fiebig ist kein Synästhetiker – trotzdem will der Augsburger Klangkünstler abstrakte Gemälde in Töne verwandeln. Vorgestellt hat er ein solches Projekt am Sonntag im Rahmen einer „Midisage“ in der Schwäbischen Galerie im Volkskundemuseum Oberschönenfeld. Die Galerie stellt noch bis zum 12. März ungegenständliche Malerei aus ihrer Sammlung schwäbischer Künstler aus und will verschiedene „Zugänge“ zum Abstrakten vermitteln. Neben Führungen stehen auch Workshops, Kinderkurse und „Kunstbegegnungen“ für Familien auf dem Programm. Und Fiebigs Versuch, Bildern von Herbert Dlouhy, Burga Endhardt, Norbert Kiening und Bertram Schilling mit „Musik zu Bildern“ zu begegnen, wie das Programm ankündigte.
„Gelenkte Improvisation“ nach ausgeklügeltem System
Wobei schon die Definition von Musik so eine Sache ist. Mancher hätte Fiebigs Arbeit wohl eher als Klang, als Sound bezeichnet. Fiebig selbst gibt der Veranstaltung den Titel „Sounding Paintings“ – klingende Bilder. Ob nun zu einem Kunstwerk, das keinen real vorhandenen Gegenstand darstellt, der dem Assoziativen weit entgegen kommende Begriff „Sound“ besser passt als der möglicherweise eher theoretische, also abstraktere Musikbegriff ist zwar eine möglicherweise zu akademische Frage. Andererseits stellt sie sich beim Hören von Fiebigs Klängen erneut – und vor allem bei des ausführlichen Erklärungen seiner Herangehensweise. Denn der Klangkünstler unterwirft seine „gelenkten Improvisationen“ einem ausgetüftelten System komplizierter Coumputer-Software ebenso wie einem von dem Maler Johannes Itten entwickelten Farbkreis, der das Farbspektrum in zwölf Werte unterteilt, denen er jeweils einen der zwölf Halbtöne zuweist. Das klingt so konstruiert wie, beispielsweise, Schönbergs Zwölftontheorie – es kommt also auf die Kreativität der Umsetzung an, um aus dem blutleeren Gedanken ein lebendiges Musikwerk entstehen zu lassen.
Fiebig verweigert sich glücklicherweise der Verlockung, den ausgewählten Bildern nun mit poppigen, blubbernden, wabernden oder irgendwie gefälligen Synthesizer-Sounds zu begegnen. Er arbeitet stattdessen mit reinen, teilweise regelrecht sterilen Klangkonstruktionen, die er aber, unter anderem mit dem so genannten „Kaoss Pad“ improvisierend, mit Klängen konfrontiert, die man eher dem Spektrum „Geräusch“ zuordnen könnte. Das klingt sehr experimentell, ist gewöhnungsbedürftig, hinterlässt aber starke Eindrücke: Ich hätte manche Sequenzen gerne ein zweites Mal gehört und mich dabei direkt vor eines der „bespielten“ Gemälde gestellt.
Vom Klang zum Ohr zum Bild zum Auge
Der Versuch, Bild und Sound in Eins zu bringen, also den Weg des Klanges vom Ohr übers Bild zurück zum Auge zu rekonstruieren, ist selbst dann spannend, wenn die Töne, wie bei Fiebig vielfach geschehen, dem Zufall zu verdanken sind. Jedenfalls zeigt die Performance: Der Sound kann das Sehen bereichern, kann abstrakte Bilder in andere Zusammenhänge rücken, ihnen weitere Dimensionen verleihen. Und die sind, trotz der Anbindung der Töne an formale, fast mathematische Kriterien, an Raster und Matritzen, so individuell wie die Gemälde selbst. Fiebig zeigt, wie sich ein Bild anhören kann – und demonstriert durch seine Aufschlüsselung des Entstehungsprozesses gleichzeitig, dass es sich auch völlig anders anhören könnte.
Ob das im Sinn des Malers ist, konnte man am Sonntag nur Norbert Kiening fragen. Der Diedorfer hatte als einziger der von Fiebig ausgewählten Künstler kommen können und zeigte sich erfreut. Fiebig hatte für sein Projekt nicht mit den Malern zusammengearbeitet. Deshalb war es für Kiening überraschend, die Interpretation seines Bildes „als Partitur“ zu erleben. Er habe auch noch nie seine Werke „von links nach rechts betrachtet und analysiert“, wie Fiebig das für seine der musikalischen Gestaltung vorausgehende Farbanalyse tat. Das Ergebnis, so Kiening, sei gleichwohl „wunderbar.“ Mit Fiebig sind wir also wohl einen Schritt weiter auf dem Weg von Kandinskys unendlich sich entwickelnder neuer, internationaler Sprache.