Tief berührend: „Weiße Rose“ in der Brechtbühne
Udo Zimmermanns Oper in einer starken Inszenierung
Von Frank Heindl
Sie waren noch sehr jung, als sie sterben mussten. Sophie und Hans Scholl, sie 21, er 24 Jahre alt, Ikonen des Widerstands gegen Hitler, das „Dritte Reich“, den Krieg der Deutschen gegen den Rest der Welt, mussten für ein paar tausend Flugblätter gegen die Nazis mit dem Leben zahlen – vier Tage nach ihrer Verhaftung und der „Verhandlung“ vor Roland Freislers „Volksgerichtshof“ starben sie unter der Guillotine. Nicht ihr Leben, sondern ihre letzte Stunde vor der Hinrichtung nimmt sich Udo Zimmermanns Oper „Weiße Rose“ als Handlungszeit. Ich habe die Premiere versäumt und das Stück erst jetzt gesehen.
Wie kann man das Enden zweier so radikal kurzer Leben, eine Entwicklung so schnell zum Tod hin, ein beispielgebend kompromissloses Auflehnen gegen die unbezwingbare Macht der Verhältnisse, wie kann man weltanschaulich-religiösen Hintergrund und individuell-menschliches Gefühl in 70 Minuten Musik und wenig Text fassen? Zimmermann gelingt das auf zweierlei Weise: Zum Einen weitet er in seinem Libretto die letzte Lebensstunde in eine Zusammenfassung aus Erinnerungen und letzten Gedanken, aus imaginierten, gewünschten, ersehnten Gesprächen, die nicht mehr stattgefunden haben, zum Anderen bündelt er in der Gegensätzlichkeit der aggressiv-lyrischen Wucht seiner Musik die Brutalität von Macht und Terror, von Trauer, Angst und Sehnsucht seiner beiden Protagonisten. Seollyeon Konwitschnys Inszenierung steuert als Verständnishilfe den Gegenpart zu den beiden einsamen Geschwistern bei: Sie bringt einen stummen Statistenchor auf die Bühne, der nicht nur die anonyme Masse des „Volkes“ darstellt, sondern auch dessen ignorantes Schweigen, dessen Beharren auf Alltag und Normalität, dessen Weigerung, die brutale Realität und die Aktionen der Geschwister auch nur wahrzunehmen – geschweige denn, Konsequenzen zu ziehen.
Für die Aktualisierung sorgt das passive Volk
Mit diesem von der Regisseurin hinzugefügten Gegeneinander gelingt unaufdringlich eine starke, an die Nieren gehende Aktualisierung des Stoffs. Denn dieses gleichgültige, manipulierbare, desinteressierte Volk ist überzeitlich, das gibt es immer noch, und es besteht nicht nur aus denen, die sich nicht schämen, sich brüllend als „das Volk“ darzustellen – es besteht auch aus all denen, die ihre moralischen Grundsätze lieber für sich behalten, als für sie einzustehen.
Samantha Gaul und Giulio Alvise Caselli spielen und singen das seinem Tod mal verzweifelt, mal tief religiös entgegengehende Geschwisterpaar eindringlich und unaufdringlich – keine vordergründige Botschaft stört das Publikum beim Mit-Erleiden eines grauenhaften Schicksals. Wer, zum Beispiel bei Peter Weiss, gelesen hat, wie die Verurteilten des 17. Juni noch einmal gedemütigt wurden mit der Hinrichtung durch den Strang, der kann – ein wenig, nur ein wenig! – fühlen, welche grässliche Angst in der fürchterlichen Frage der Geschwister gesteckt haben mag, welche Todesart man ihnen bestimmt habe. Zimmermanns Musik gleitet in solchen und anderen Momenten von brutaler – und brutal atonaler – Marschmusik in lyrische Kantinelen hinüber und wieder zurück, macht also immer wieder den Gegensatz deutlich zwischen dem, was war, und dem, was hätte sein können, was sich das todgeweihte Paar noch hätte wünschen, erträumen können vom Leben.
Und die Musik relativiert auch den vom Libretto fast ein wenig aufdringlich aufgezeigten Weg der religiösen Hingabe als „Lösung“ für die Geschwister. Tief berührend, wie Sänger und Sängerin, begleitet von chromatisch nach oben sich steigernder Musik, langsam die Treppen der Brechtbühne nach oben gehen – und wie Samantha Gaul als Sophie, während Hans vom Tod zu singen beginnt, zaghaft und entsetzt den Weg zurück nach unten einschlägt, trotz aller Gläubigkeit „zu Tode erschrocken“ und nicht zum Tode bereit.
„Weiße Rose“ wird noch gespielt am 13. November (19 Uhr, Einführung 30 Minuten eher), sowie am 8. Januar. (15 Uhr) und am 20. Januar (19.30 Uhr).