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Steve Reichs Schlüsselwerk „Music for 18 Musicians“ wurde im tim zum multimedialen Kunstwerk

Neue Musik war am vergangenen Samstag groß angesagt:  Gleichzeitig mit dem vormittäglichen Messiaen-Kammerkonzert gab es im Textilmuseum die erste Aufführung von Steve Reichs „Music for 18 Musicians.“ Dieses Konzert wurde glücklicherweise am Abend wiederholt – und zwar nicht nur einfach nochmal gespielt, sondern beim zweiten Mal mit Tanz und Visuals angereichert. Ich war zunächst skeptisch, dann aber begeistert – weil die Qualität des Dargebotenen dreifachberauschend war.

Steve Reichs 80. Geburtstag wurde im Textilmuseum mit Musik, Tanz und Visuals großartig begangen (©Jay Blakesberg).

 

18  Musiker seien knapp bemessen, erfuhr man bei der Einführung durch Wolfram Winkel – in dieser Besetzung müssten Musiker zwischen Marimbaphon und Flügel wechseln und dabei nicht nur ein anderes Instrument, sondern auch komplett entgegengesetzte Rhythmen spielen, weshalb im tim also 19 Musiker auf der Bühne standen. Ein weiterer Künstler Anwesender spielte die Visuals live auf drei Leinwänden ein, dazu kamen dann noch Tänzer von zwei Augsburger Tanzschulen.

Anfangs sah man wenig: Sparsam wurde die Bühne nur von der Notenpult-Beleuchtung erhellt. Mit Beginn der Musik schuf das die Atmosphäre eines Rituals – sich sanft im Takt wiegende Sängerinnen, ein Cellist, der wild den Kopf im Achtel-Rhythmus schaukelte – und nach ein paar Minuten dann auch die von der Komposition erzeugte Stimmung meditativer Aufgewühltheit, die Reichs Musik so einzigartig macht: Minutenlang sich wiederholende, komplexe rhythmische Strukturen, die auf minutenlang gleich bleibenden harmonischen Strukturen ruhen – Ruhe und Bewegung gleichzeitig also und daraus resultierend das Gefühl von Strömung, von Wellenbewegungen, der Eindruck eines mächtigen Auf und Ab von enormer Kraft. Es musizieren vier Sängerinnen, Cello, Geige, Klarinetten, vier (!) Flügel, Marimbaphone und Percussionsinstrumente, und sie schaffen einen Assoziationsrahmen ohnegleichen.

Marice Ravel, Mike Oldfield, Philip Glass und David Bowie

„Hilfe, ein Verrückter!“, soll eine Zuhörerin gerufen haben, als Maurice Ravels „Bolero“ 1928 uraufgeführt wurde. Ein Erfolg wurde das Stück trotzdem, aber seine suggestive Wirkung auf ein unvorbereitetes Publikum muss damals enorm und eben auch verstörend gewesen sein. Steve Reich setzt deutlich intensiver als damals Ravel auf dynamische Elemente, die Lautstärke schwillt nicht nur an, sondern auch wieder ab – und zwar in manchen Instrumentengruppen über sehr lange Zeiträume, in anderen in kurzen Takten. An solche Methoden haben wir uns gewöhnt, unsere Rezeption hat sich angepasst – zum heutigen Erfahrungsspektrum gehört beispielsweise Mike Oldfiels Album „Tubular Bells“ von 1973 ebenso wie Godfrey Reggios Experimentalfilm „Koyaanisqatsi“ von 1982 mit der Musik von Philip Glass. Die „Music for 18 Musicians“ gilt nicht umsonst als „Neunte Sinfonie“ und „Schlüsselwerk“ der Minimal Music“. Gleichzeitig ist das Werk aber auch verwurzelt in tiefer liegenden Schichten: Ich habe in meiner Konzert-Ankündigung auf David Bowies Diktum verwiesen, es handle sich um „balinesische Gamelan-Musik, verkleidet als Minimalismus.“ Das ist nicht besonders spitzfindig, sondern sehr naheliegend, wenn man auch nur ein Mal Gamelanmusik gehört hat. Und doch ist auch dieser Aspekt bemerkenswert – das Werk wurde 1976 uraufgeführt, als der World Music-Trend noch kaum zu spüren war, und der balinesische Sound ist keineswegs vordergründig oder gar aufdringlich.

Tanz und Visuals erweitern die Musik zu noch mehr Kunst

Ich war anfangs und auch noch mitten im Stück sehr skeptisch, was die Verknüpfung von Reichs Musik mit Tanz und Visuals anbelangt. Von MehrMusik-Macherin Ute Legner stammt die Idee, und sie führt zunächst und ohne Zweifel zu einem Mangel an Konzentration für die Musik. Denn auf drei hinter den Musikern aufgehängten Leinwänden malt Zack Marlow-McCarthy vom Augsburger Lab Binaer live seine computergesteuerten Grafiken an die Wand, deren Wirkung man sich kaum entziehen kann und die die Assoziation oft in ganz andere Richtungen lenken. Strahlenbündel, die sich scheinbar nach vorne bewegen und dabei dreidimensional erscheinen, Licht-Geäst, das sich im Davonschweben und Kleinerwerden und in Reaktion auf das An- und Abschwellen der Musik zu glitzernden Weihnachtsbäumen verdichtet…

Und dann auch noch die Tanz-Beigaben: Zunächst eine Tänzerin, deren weite, offene Bewegungen sich, angelehnt an die Entwicklung der Musik, allmählich mehr und mehr verengen und schließlich zum Stillstand kommen. Später ein Paar, das die Musik auf faszinierende Weise aufnimmt: sie schreiten in „Wellenbewegungen“, die aufgehalten und akzentuiert werden durch kleine, unerwartete „Hüpfer“, die ebenfalls die Musik widerspiegeln. Wunderbar – und an dieser Stelle wechselte meine Skepsis zu Begeisterung -, wie die Bewegungen des Paares sich allmählich zur Zeitlupe verlangsamen; sehr gut mitgedacht auch, dass der Tanz oft der Musik ein kurzes Metrum lang Vorlauf lässt und dann auf die Veränderungen reagiert. Das war nicht nur schön anzuschauen, sondern rang Reichs Musik, die mitunter auch hermetisch und geschlossen wirken kann, neue Möglichkeiten und Wirkungen ab, öffnete sie für noch mehr Kunst. Und machte so aus Ute Legners MehrMusik-Devise diesmal auch ein Mehr als Musik.

Nachsatz:
Man kann die Music for 18 Musicians problemlos im Netz hören, ebenso Philip Glass‘ Koyaanisqatsi-Musik, auch der Film steht ungekürzt und downloadbar im Netz. Die urheberrechtliche Problematik ist aber so diffus, dass ich darauf verzichte, diese Möglichkeiten hier zu verlinken.