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Fotos und Erinnerungen der „ganz Großen“ des Jazz

Von Frank Heindl

 Der Augsburger Jazzsommer ist vorbei und bis zum nächsten dauert’s noch eine Weile. Wer trotzdem Lust auf Jazz hat und beim Plattenhören auch was zu sehen haben will, für den hat der Fotograf Arne Reimer einen dicken, großformatigen Bildband gemacht, der auch mit Text nicht geizt.

Wo treiben sie sich rum, die großen Jazzlegenden? Wie geht’s ihnen? Wie leben sie? Was, zum Beispiel, macht Ahmad Jamal zurzeit? Man kann das jetzt nachlesen. „Komm rein, die Tür ist offen!“, ruft Jamal, als Arne Reimer bei ihm auftaucht. 1930 ist der Pianist geboren, war beim Besuch des Fotografen 85 Jahre alt. Während ich das hier schreibe, läuft auf meinem CD-Spieler „Acorn“, eine Komposition von Jamal, auf „Live in Paris“ spielt dazu James Cammack einen wieselflinken E-Bass, aber noch wieselflinker ist Jamal, ein Afroamerikaner, der Frederick Russell Jones hieß, bevor er zum Islam konvertierte – gelobt  beispielsweise von Miles Davis, aber durchaus auch bekannt für massentaugliche Fusion-Aufnahmen. In einem kleinen Dorf in Massachusetts hat Reimer ihn aufgespürt. Dort wohnt Jamal nicht etwa mit einem Steinway-Flügel, sondern mit deren zwei. Und hält sich jung mit der Erkenntnis, es gebe „musikalisch immer noch viel zu entdecken. In jeder Sekunde.“ Dabei ist er sich bewusst, dass es einsam wird um ihn. Erzählt von den Großen, mit denen er auf der Bühne gestanden hat, von Charlie Parker, Stan Getz, Billy Holiday – und beendet die Aufzählung mit dem Satz: „Ich bin der letzte Überlebende von all diesen Musikern.“ Und nicht nur das – den Dahingegangenen werde nicht einmal mehr Respekt gezollt, stellt er ein wenig resigniert fest: „Heute zeigen sie (Duke) Ellington nicht mal mehr im Fernsehen.“

Jede der Geschichten ist die Geschichte von Vielen

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Einer, der’s geschafft hat: Eddie Henderson, geboren 1940.

 

Seine Lebensgeschichte, die Geschichte seiner Karriere, die er in Kurzform dem Fotografen erzählt, ist die vieler Musikern seiner Generation: Schon als 14-Jähriger mit erfolgreichen Bands auf der Bühne, die Hausaufgaben in den Pausen erledigt, auch nach der ersten Platte noch im Nebenjob Hausmeister für 32 Dollar die Woche, später dann die Zusammenarbeit mit den Big Stars.

So oder ähnlich lief’s bei vielen. James Blood Ulmer zum Beispiel (von ihm hab ich jetzt „Blues Preacher“ aufgelegt). Der heute 76 Jahr alte Gitarrist (man könnte ihn im 14. November in Wien hören) hat auch ein paar höchst intellektuelle Überlegungen auf Lager: Musik, sagt er, spiele man nicht. Sondern man spiele das Konzept, eine Idee von Musik. Das hat zum Beispiel zur Konsequenz, dass es in seiner Wohnung in New York keine Musikkonserven gibt: „Warum sollte ich mir Muddy Waters anhören, wenn ich mir sein Spiel sowieso nicht aneignen darf – es gehört doch ihm!“ In Ulmers christlichem Elternhaus, so erzählt er, war gute Musik verboten: Der Blues war für seine Eltern „Musik des Teufels“ – trotzdem gelingt es ihm später, Blues und Jazz auf seine sehr individuelle Weise zu fusionieren, lernt er den Freejazzer Ornette Coleman kennen und kommt eines Tages auf die Idee, seine Gitarre „offen“ zu stimmen. Eine musikalische Entwicklung, die den Mainstream nur kurz streift – und große Platten  entstehen lässt.

Steve Swallow und Jack DeJohnette schlucken dieselben Pillen

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Einer, der’s mal geschafft hatte: Charli Persip, geboren 1926 (Fotos aus „American Jazz Heroes“ mit freundlicher Genehmigung des Jazz thing Verlags).

 

Apropos: Das Buch fügt glücklicherweise jedem Künstlerportrait eine Liste seiner wichtigsten Aufnahmen bei – auf meiner Weihnachts-Wunschliste steht deshalb jetzt auch ein Titel von Steve Swallow und Carla Bley: Are we there yet von 1999 würde ich mir gerne mal anhören – das Paar hat die Platte gemeinsam eingespielt. Swallow fand ich schon ein bisschen gespenstisch, als ich ihn in den 90ern zum ersten Mal live gesehen habe. Nun hat er ein Alter erreicht, in dem er so aussehen darf, wie er schon damals wirkte: Hager, asketisch, nicht ganz gesund. Neulich, erzählt er, habe er den Schlagzeuger Jack DeJohnette im Supermarkt getroffen – sie lachten übereinander, weil sie beide dieselben Tabletten im Einkaufwagen hatten. Carla Bley erzählt danach von ihrer Zusammenarbeit mit dem Vibraphonisten Gary Burton, mit dem Bassisten Charlie Haden und dessen „Liberation Music Orchestra“, von ihrer 1971 erschienen Jazzoper „Escalator over the Hill“ (muss auch auf die Weihnachtswunsch-Liste!) – lauter große Namen, lauter tolle Titel, lauter Geschichte aus den miteinander verwobenen Leben dieser begnadeten Typen, deren Arbeiten man als Jazzfan dauernd im CD-Player rotieren lässt, dazu Fotos vom Altern in Würde, aber auch in Armut: „Wenn ich mir meinen Kontostand ansehe, fühle ich mich nicht wie eine Legende“, sagt Schlagzeuger Charli Persip sarkastisch – Arne Reimers Foto zeigt ihm auf einem völlig ramponierten Stuhl, auf einem versifften Teppich, in einem vermüllten Zimmer.

Arne Reimer:
„American Jazz Heroes Volume 2.  Besuche bei 50 Jazz-Legenden.“ Jazz thing Verlag Axel Stinshoff, 2016, 55 Euro.