Volle Punktzahl für Pünktchen und Anton

Premiere vormittags um zehn – das gibt’s beim Stadttheater nur einmal im Jahr, und zwar wenn das „Weihnachtsstück“ für den Besuchernachwuchs ansteht. In diesem Jahr lassen sich von dieser Veranstaltung gleich zwei gute Nachrichten vermelden. Erstens: Bei „Pünktchen und Anton“ geht die Post ab. Und zweitens: Im Kongress am Park funktioniert Theater perfekt.

In ihrer aufwendigen Inszenierung des Kinderromans von Erich Kästner aus dem Jahr 1931 zieht Regisseurin Martina Eitner-Acheampong eine ganze Menge Register, die nicht nur Kinderherzen höher schlagen lassen. Das geht mit der Drehbühne los, die auf die Mitte der Bühne montiert wurde und auf der die Schauspieler abwechselnd mehrere Räume „entfalten“. Aus deren Wänden wiederum lassen sich mittels raffinierter Klappmechanismen Tisch und Kleiderständer, ein Küchenherd inklusive Geheimgang und noch so manches mehr einfach herausklappen. Und zwar ganz fix nach dem Prinzip „Klick-Zack-Bumm“, einmal sogar, noch schneller, einfach „Zack-Bumm“.

Ein gruseliger, hinreißend inszenierter Alptraum

Mithilfe dieses Drehmoments gelangt man schnell von A nach B und noch an ganz andere Orte – aus der Wohnung der reichen Familie Pogge mit Tochter Pünktchen (aufgedreht, fröhlich, naiv und doch empathisch: Kerstin König) in die der armen Familie Gast mit Sohn Anton (aufopfernd, ernst, mutig: Sebastian Baumgart), aber auch ins Café Sommerlatte, wo finstere Pläne geschmiedet werden, auf den Schulhof – und auf die Straße. Dort verkaufen Pünktchen und Anton heimlich die zuhause geklauten Streichhölzer und Schuhcreme, um den finanziellen Durchhänger bei Familie Gast zu überbrücken. Das wäre für zwei Kinder eigentlich schon Abenteuer genug, aber es mischt auch noch ein erpressersicher Schulkamerad mit, Pünktchens Kinderfrau Fräulein Andacht hat sich einen teuflischen Verbrecher angelacht, der das Poggesche Heim ausrauben will, Lehrer Bremser droht mit eine bösen Brief an Antons kranke Mutter, und bei Pogges zuhause hat man nie Zeit für irgenwas und schon gar nicht für Pünktchen. Kein Wunder, dass die Pogges alle dauern frieren. Kein Wunder auch, dass dieses Tohuwabohu bei Pünktchen zu Albträumen führt. Was zwar bedauerlich ist, aber auch ein Theaterglück, denn die gruselige Szene ist so wunderbar inszeniert, dass man sie gar nicht verraten mag. Nur so viel: Ein Pferd kommt vor, und eine riesige Hand auch.

Erste Beifallsstürme für die „Pupskanone“

Wunderbar ist auch die dauernde Hektik bei den Pogges zuhause in Szene gesetzt (in all dem Durcheinander küsst zum Beispiel der Vater schon gleich zu Anfang versehentlich die Kinderfrau) und wunderbar passt in diese Szenerie die warmherzig berlinernde Köchin Berta. Wunderbar ist das Schimpfduell zwischen Köchin und Kinderfrau, dass Berta mit dem Schimpfwort „Pupskanone!“ für sich entscheidet und das dem Publikum die ersten Beifallsstürme entlockt. Wunderbar ist dieses Publikum selbst, das auf die Frage „ist das nicht ungerecht?“ mit „ungerecht! ungerecht!“-Sprechchören antwortet, das sich aber bisweilen auch ungefragt lautstark einmischt und schon zur Pause tosenden Applaus gibt. Wunderbar ist, dass Berta mit der Polente Tango tanzt, nachdem sie den Einbrecher mit der Bratpfanne selbst außer Gefecht gesetzt hat.

Und, apropos: Wunderbar ist natürlich die Musiker-Combo, die nicht nur Gesang und Tanz, sondern auch passende Geräusche jedweder Art beisteuert. Und ganz wunderbar ist schließlich auch die Fahrt im halboffenen roten Auto an die Ostsee und zum Happyend. Zwei vergnügliche Stunden, nicht klamaukig, sonder fröhlich, lustig, kindgerecht und sogar ein bisschen nachdenklich. Insgesamt ein richtig schöner Vormittag für die Kleinen im Theater – denn das war der Kongress am Park zwei Stunden lang! Volel Punktzahl also für Pünktchen und Anton und nur ein klitzekleiner Wermutstropfen: Ich habe bedauert, dass ich keine kleinen Kinder mehr habe.

puenktchen-ua-2-foto-a-t-schaefer
Bild oben: Wenn Pünktchens Zahn wackelt (in der Mitte: Kerstin König), sorgt die Musiker-Combo für lautes Knarzen – und der ganze Haushalt lauscht. Links Herr Pogge (Gregor Trakis) und Köchin Berta (Doris Buchrucker), rechts Frau Pogge (Josephine Ehlert) und Kinderfrau Fräulein Andacht (Magdalena Helmig). Bild unten: Zum Happyend geht’s im roten Flitzer an die Ostsee (Bühne: Katrin Wittig). (Fotos: A.T. Schaefer).