Der „Bürgertalk zum Theater“ – konfliktfrei und harmlos

War ja ganz nett, dieser “Bürgertalk“ in der Brechtbühne, bei dem die Stadtoberen und der neue Intendant dem Publikum mal erklären konnten, wie das jetzt weitergehen soll mit Theatersanierung, Theateröffnung, Ausweichspielstätten, städtebaulicher Aufwertung des Theaterviertels und vielem mehr. Große Einigkeit im Publikum: Wir schaffen das. Ein bisschen naiv kam mir das alles vor, aber na gut…

Ich bin für die Sanierung, das mal vorneweg. Ich finde es auch gut, wenn man sich in der Stadtgesellschaft gegenseitig Mut macht, wenn’s um ein wagemutiges Projekt geht – anstatt immer nur mit „wenn“ und „falls“ und Angst und Sorge zu operieren. Aber mir war die Veranstaltung in der Brechtbühne zu viel Show. Ein Moderator (Slam-Guru Horst Thieme), der gleich mal eingangs von sich behauptete, er sei von diesem überaus waghalsigen „Experiment“, ein „neues Format“ für die Bürgerkommunikation auszuprobieren, sogar selber ganz „aufgeregt und nervös“ – und der dann davon zwei Stunden lang aber sowas von gar nichts spüren ließ – der weckte schon den Verdacht, dass es hier eher auf Schauspielerei ankam. Dann die Ankündigung, keiner dürfe mehr als „gefühlte“ 90 Sekunden lang reden. Das klang nach flottem Schlagabtausch, nach einer rasch gewechselten Vielzahl von Argumenten. Bloß: Die 90 Sekunden wurden (und zwar nicht „gefühlt“, sondern „in echt“) kein einziges Mal eingehalten und im Regelfall auf das Zehnfache ausgedehnt, ohne dass irgendein Moderator einschritt – einmal gab’s Protest aus dem Publikum, der aber wenig Wirkung zeigte. Statt knackigem Frage-Antwort-Spiel also das Übliche: Langwierige Erklärungen dessen, was man eh schon wusste, ahnte oder niemals zu erfahren begehrt hatte. Schade!

Mehr Operette, mehr Neue Musik, mehr Theaterpädagogik

Dass es ein eher konfliktfreier Abend zwischen Gleichgesinnten werden würde, war ja schon vor Beginn im Foyer klar gewesen: Eifriges shake-hands von lauter Theaterfreunden, Sanierungsbeteiligten, Politikern. Von den Sanierungsgegnern kaum einer außer jenem Frank Arnegger, der wie weiland auf dem Stadtmarkt, irgendwo in der Fußgängerzone oder eben vor der Brechtbühne sein Anti-Abriss-Schildle in die Höhe reckte, aber später auf dem Podium dann doch eine eher bescheidene Rolle spielte – darüber weiter unten. Dass der Abend so überaus friedlich wurde, war jedenfalls vor allem dem extrem handzahmen Publikum anzurechnen. Es fragte harmlos und war mit den harmlosesten Antworten zufrieden.

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Plakativ auffällig, argumentativ eher bescheiden: Anti-Sanierungs-Protestierer im Foyer der Brechtbühne.

Zumal ja auch eigentlich jeder bekam, was er wollte: Der Dame, die sich vehement für mehr Operetten einsetzte, aber bitte auf keinen Fall die Fledermaus oder die Lustige Witwe, versprach der designierte Intendant Andre Bücker – genau: Schon in der ersten Spielzeit eine Operette, aber nicht die Maus und auch nicht die Witwe. Dem Architekten, der zuerst mal die Architektenpläne für Sanierung und Neubauten lobte und sich dann mehr Neue Musik im Theater wünschte, versprach Bücker entschiedene Unterstützung ebensolcher Bestrebungen bei den engagierten Orchestermusikern und mindestens einmal pro Spielzeit Musiktheater eines noch lebenden Komponisten. Die kritische Forderung von mehr Theaterpädagogik konnte das Podium auf zweierlei Weise kontern: Kulturreferent Weitzel wusste, dass der Raum dafür in den Planungen schon vorgesehen sei, Bücker setzte einen drauf, indem er versicherte, es sei auch schon eine zweite Theaterpädagogik-Stelle geschaffen worden.

Auf konstruktivem Weg in eine gute Zukunft

Eifrige Stichwortgeber von allen Seiten bedrängten geradezu die Verantwortlichen. Ein Mitglied der Theaterfreunde fragte wissbegierig, wie man denn das Theater nun fit machen wolle für die nächste Generation, als ob darüber noch gar nichts bekannt geworden wäre. Sebastian Karner, Gastronom, Popveranstalter, Betreiber von Soho und Weißem Lamm gleich hinterm Theater, interessierte sich unbegreiflicherweise dafür, ob die umliegende Gastronomie ins neue Theaterkonzept eingebunden sei und wie das denn mit der Popkultur aussehe – beides, so die Antwort, sei selbstverständlich vorgesehen, werde selbstverständlich berücksichtigt und bestens integriert. Und Sebastian Seidel (Sensemble-Theater) freute sich, dass die Freie Theaterszene durch den vorbereitenden Meinungsbildungsprozess endlich zusammengefunden habe und nun „konstruktiv in die Zukunft“ sehe. „Auf einem guten Weg“ war auch noch einer der Sätze, die sehr gerne zur Anwendung kamen.

Jetzt manifest: die Pleite der Sanierungskritik

Die Pleite der Sanierungskritik manifestierte dann der schon erwähnte Frank Arnegger: Die Brechtbühne sei erst fünf Jahr alt, habe acht Millionen gekostet und solle nun abgerissen werden – ob das denn sein könne. Antwort Baureferent Merkle: Die Brechtbühne war schon immer „auf Zeit“ geplant, hat nur 5,5 Mio. gekostet, die Technik und die Bühne kommen mit ins Gaswerk. Arnegger: Warum gibt’s keine professionelle Kostenkontrolle? Merkle und Gribl: Die gibt’s, und zwar durch die IMP Projektbetreuung München. Und da hatte ein offensichtlich nicht so gut im Thema orientierter Sanierungsgegner dann auch schon sein ganzes Pulver verschossen. Wundert sich immer noch jemand, dass vor ein paar Wochen ein gewisses Bürgerbegehren gescheitert ist?

So viel positives Denken – kann das gut gehen?
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Herr, lass Geld regnen! Man darf davon ausgehen, dass OB Kurt Gribl zum Zeitpunkt der Veranstaltung schon wusste, dass die CSU-Mehrheit im Landtag am selben Abend die staatliche Übernahme (und damit Finanzierung) des Augsburger Theaters abgelehnt hatte. Parteifreund Bernd Kränzle hatte sich bei der Abstimmung mutig enthalten.

Denen auf dem Podium, vor allem aber dem Publikum schien es eigentlich in erster Linie darum zu gehen, diesen Sieg zu feiern und nun in die Vollen zu gehen. Ich freue mich ja auch über die Sanierung! Echt! Und auch ich freue mich über mehr Theaterpädagogik und viel Neue Musik (von mir aus auch gerne auf Kosten der Operette), ich freue mich über den Orchesterpavillon als „niederschwellige Erlebniswelt“ ebenso wie über die tollen Ideen, die der Workshop mit dem Bund der Architekten für das Theaterquartier entwickelt hat. Ich freue mich auch mit einer kritisch nachfragenden Dame, dass Baureferent Merkle zusagt, das „Grün im urbanen Raum“ werde im Entwicklungsplan fürs Theaterviertel berücksichtigt. Ich freue mich sogar, dass OB Gribl auf eine ebenso kritische Nachfrage zugibt, die Freilichtbühne sei bisher „nicht enthalten“ in den Zukunftsplänen, aber das ist ja glücklicherweise ganz einfach: „das muss man halt auch mal planen.“ Ich freue mich über so viel positives Denken! Echt!

Aber nach diesem über alle Maße optimistischen Abend scheint mir’s jetzt schon wieder an der Zeit, ein bisschen Angst zu kriegen. Wenn alle Beteiligten so ungebremst in grenzenlosen Fortschrittsglauben schliddern, wenn alle ach so kritischen Bürger wirklich alles für ganz einfach machbar halten – dann fehlt es an einer wirklich kritischen Opposition, die nachfragt, nachhakt, nachrechnet, nachdenkt. Falls es solche Leute gibt – von denen war am Mittwoch keiner in der Brechtbühne.

Titelbild: Er hat eine Schanklizenz, aber er will mehr – Szenegastronom Sebastian Karner im Bürgergespräch mit Theaterintendant André Bücker (Fotos: Frank Heindl).